Wenn wir im Sommer über eine bunte Wiese mit blühenden Wildkräutern gehen, sehen wir auf Schritt und Tritt Schmetterlinge gaukeln oder an Blüten saugen. Manche sind eher unscheinbar gefärbt, andere zeigen auf ihren Flügeln prächtige Farben und Muster. Doch wenn wir in im Winter über die selbe Wiese gehen, werden wir nicht nur keine blühenden Kräuter, sondern auch keinen einzigen Falter beobachten können. Wohin sind sie alle verschwunden? Und was können wir tun, um ihnen über die harte Jahreszeit zu helfen?
Zur Überbrückung von Hunger und Kälte haben unsere heimischen Tagfalter verschiedene
Strategien entwickelt. Die meisten von ihnen überwintern einfach in einem Stadium, das Kälte besser verträgt und ganz ohne Nahrungsaufnahme auskommt. Sie hängen jetzt möglichst gut versteckt vor Fressfeinden und eisigem Wetter als Puppe (manche auch als Ei) an Pflanzen, Steinen oder Gebäuden und warten hier auf wärmere Zeiten. Die Biologen unterscheiden hier noch Gürtelpuppen, die mit einem Bauchgurt schräg aufrecht an der Unterlage hängen, und Stürzpuppen, die sich nur mit der Hinterleibsspitze in einem winzigen Gespinst-Kissen verhakt haben und kopfüber herab hängen. Einige Wenige Arten überwintern auch als Raupe in Kältestarre. Sie stellen die Nahrungsaufnahme im Herbst ein und beginnen damit erst wieder im Frühjahr, wenn an ihren Futterpflanzen das erste zarte Grün sprießt.
Links: Stürzpuppe des Kleinen Fuchses Aglais urticae kurz vor dem Schlupf (die Flügelzeichnung ist bereits erkennbar); rechts: Gürtelpuppe des Baumweißlings Aporia crataegi. Beide Fotos: Wikipedia.
Es gibt aber bei uns auch eine kleine Gruppe von Faltern, die den Winter als voll entwickelter Schmetterling (Imago) überstehen. Verschiedene Edelfalter suchen dafür geschützte Verstecke auf und fallen hier mit nach oben zusammen geklappten Flügeln in Kältestarre, aus der sie erst im Frühjahr wieder erwachen – falls sie nicht vorher ein Vogel oder ein anderer Feind entdeckt und gefressen hat. Auch eine zu kalte Temperatur kann tödlich sein, weil wechselwarme Tiere wie die Insekten zwar eine Art Frostschutzmittel (Glycerin) in ihrer Körperflüssigkeit haben, aber im Gegensatz zu Säugetieren im Winterschlaf oder in der Winterruhe keinen „Notfallschalter“ besitzen, der sie bei zu tiefen Temperaturen aufweckt und die Körpertemperatur wieder auf unkritische Werte hoch fährt. Geeignete Plätze für eine Erfolg versprechende Überwinterung sind natürliche Höhlen in Felsen oder Bäumen, aber auch vom Menschen geschaffene unbeheizte Räume wie Bergwerksstollen, Keller, Dachböden, Schuppen, Scheunen, Garagen, Gartenlauben etc. Mit ihren unscheinbaren Flügelunterseiten fallen sie hier kaum auf. Erst wenn im Frühjahr die Tage wieder länger und die Temperaturen milder werden, erwachen die kleinen Überwinterer und suchen nach einem Ausgang ins Freie. Deshalb sollte man an sonnigen Frühlingstagen solche Verstecke ab und zu besuchen. Denn die Falter merken sich nicht, wo sie ihre Winterquartiere im Herbst betreten haben, sondern streben einfach zu den hellsten Stellen. Was bei natürlichen Höhlen in aller Regel zum Ausgang führt, lockt sie in unbeheizten Gebäuden aber oft nur an ein verschlossenes Fenster. Dort flattern sie ohne unsere Hilfe oft so lange herum, bis ihre letzten Nahrungsreserven aufgebraucht sind, und verhungern dann nach einem erfolgreich überstandenen Winter doch noch. Hier sollten Tierfreunde eingreifen und wenn möglich die Fenster einfach öffnen, oder die Falter vorsichtig zur nächsten Tür ins Freie bringen. Dann können sie sich an den ersten Frühblühern wie z. B. Weiden, Schneeglöckchen, Winterlingen oder Krokussen stärken und etwas später im Frühjahr für die Erhaltung ihrer Art sorgen. Deshalb ist es auch wichtig, dass sie im Garten genügend von diesen Frühblühern finden. Ein „englischer Rasen“ und ein paar exotische Koniferen mögen zwar das Schönheitsideal einiger Gärtner befriedigen, aber den Hunger von überwinterten Faltern und anderen aus der Winterstarre erwachten Insekten (darunter auch unsere Honigbienen) stillen sie leider nicht. Man sollte also gegebenenfalls seinen Pflanzplan noch einmal kritisch überdenken. Und so schön sich diese ersten Blüten auch als Zimmer-Dekoration in einer Vase machen mögen – in der freien Natur werden sie weitaus dringender benötigt. Diese Überwinterungsstrategie ist auch der Grund, warum man einige wenige Tagfalterarten regelmäßig deutlich früher im Jahr beobachten kann als die anderen. Bekannte Vertreter dieser Gruppe sind das Tagpfauenauge, der Kleine Fuchs, der Trauermantel und das Weiße C.
Links Tagpfauenauge Inachis io, rechts Kleiner Fuchs Aglais urticae
(beide Fotos: Uwe Kunick)
Links Trauermantel Nymphalis antiopa (Foto: Bautsch, Quelle: Wikipedia), rechts: Weißes C oder C-Falter Polygonia c-album (Foto: Uwe Kunick)
Der wohl Härteste unter diesen winterharten Faltern ist jedoch der Zitronenfalter. Er sucht meist gar nicht erst nach einem sicheren Unterschlupf, sondern überwintert völlig ungeschützt einfach im Falllaub am Boden oder im Laub von immergrünen Gehölzen wie z. B. Stechpalme, Efeu oder Brombeere. Durch die besondere Form und Farbe sowie durch die stark hervor tretenden Adern auf der Unterseite seiner Flügel wirkt er dabei mit zusammen geklappten Flügen selbst wie ein totes Blatt und wird von hungrigen Vögeln oft übersehen. Für den Zitronenfalter wäre es deshalb hilfreich, wenn Gartenfreunde die herabgefallenen Blätter einfach an Ort und Stelle der natürlichen Zersetzung überlassen würden oder wenigstens Laubhaufen bis ins Frühjahr liegen lassen würden. Auf keinen Fall sollten sie noch im Herbst oder Winter verbrannt werden, weil hier nicht nur Zitronenfalter, sondern auch viele andere Kleintiere, und z. B. auch Igel einen geeigneten Platz zum Überwintern finden. Auch die im Garten sehr nützliche und gesetzlich geschützte Erdkröte überwintert hier gern.
Zitronenfalter Gonepteryx rhamni Unterseite. Links Männchen (Foto: Uwe Kunick),
rechts Weibchen (Foto: Friedmar Graf, Quelle: LepiWiki)
Neben den Faltern, die mit verschiedenen Tricks versuchen, den Winter bei uns zu überstehen, gibt es noch die Gruppe der Wanderfalter, die im Herbst über die Alpen bis in den milderen Mittelmeerraum fliegen und den Winter dort überstehen. Im Frühjahr wandern diese Falter dann wieder nach Norden über die Alpen zurück zu uns und teilweise bis nach Skandinavien und den Britischen Inseln. Das erinnert stark an das Verhalten von Zugvögeln. Aber es gibt einen Unterschied. Bei den Zugvögeln machen die gleichen Vögel in ihrem Leben mehrfach diese lange Reise, das erste Mal oft in Begleitung ihrer Eltern oder anderer älterer Artgenossen als „Reiseführer“. Dagegen machen die Wanderfalter ihre Reise zu uns nur einmal, und erst die Kinder- oder Enkelgeneration wandert wieder zurück. Die Falter pflanzen sich teilweise auch im Winterquartier fort, und erst deren Nachkommen fliegen dann wieder nach Mittel- und Nordeuropa zurück. Der wohl bekannteste Wanderfalter ist der Monarch, der allerdings bei uns nicht vorkommt. Er wurde vor allem deshalb berühmt, weil die ganze Population von Nordamerika nicht einfach irgendwo an günstigen Plätzen einzeln überwintert, sondern sich Millionen dieser großen und auffälligen Falter an ganz wenigen Plätzen im Bergland von Kalifornien und Nordmexiko zur gemeinsamen Überwinterung versammeln. Trotzdem sind diese Plätze kein „Schlaraffenland“ für hungrige Vögel und andere Insektenliebhaber. Denn der Monarchfalter speichert bereits als Raupe große Mengen von Gift aus seiner Futterpflanze im Körper, und diese „chemische Keule“ schützt auch noch seine Puppe und den Falter zusammen mit der markanten Warnfärbung zuverlässig zumindest vor den meisten Fressfeinden. Wir müssen aber nicht bis in die USA reisen, um lebende Wander- falter zu beobachten. Denn auch die prächtigen Admiral-Falter und Distelfalter, die wir bei uns regelmäßig im Sommer finden, sind hier nur Gäste aus dem Mittelmeerraum.
Europäische Wanderfalter: links Admiral Vanessa atalanta und rechts Distelfalter Vanessa cardui (beide Fotos: Uwe Kunick)
Der bekannteste Wanderfalter (nächste Vorkommen in Südspanien): der Monarch Danaus plexippus (Foto links: Inzilbeth, rechts: Richiebits, Quelle für beide: Wikipedia)
Wer unseren Faltern auch in der warmen Jahreszeit etwas Gutes tun will, sollte in seinem Garten für ausreichend Blüten sorgen. Neben Stauden und einjährigen Blumen (bitte keine mit „gefüllten“ Blüten, die liefern kaum Nektar) ist der sogenannte Sommerflieder Buddleja davidii bei Tag- und Nachtfaltern und einigen anderen Insekten sehr beliebt und ermöglicht uns gleichzeitig gute Möglichkeiten zur Naturbeobachtung und auch zur Naturfotografie. Der Gartenfreund kann hier zwischen weißen, zart lila oder tief purpurvioletten Blüten wählen; den Faltern ist die Farbe egal. Normale Winter sind für den Sommerflieder kein Problem. Wenn allerdings die Temperaturen unter etwa – 20 °C fallen, kann der Strauch teilweise oder sogar komplett erfrieren. Ansonsten werden ihm nur Spätfröste im Frühling gefährlich; hier kann eine nächtliche Abdeckung mit Vlies helfen.
Ernsthafte Falter-Freunde vergessen auch nicht, dass auch die Raupen etwas fressen müssen. Gerade einige unserer schönsten Tagfalter (auch die oben vorgestellten Arten Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs, Weißes C, Admiral und Distelfalter sowie das Landkärtchen Arschnia levana) benötigen als Raupe das „Unkraut“ Große Brennnessel Urtica dioica. Wer einige Exemplare davon an einer ruhigen Stelle seines Gartens duldet, hilft diesen Tagfaltern auch beim Erhalt ihrer Art.